Immer wieder wird der Ruf nach mehr journalistischem Nachwuchs laut, doch wie kann man junge Menschen für den Journalismus begeistern? Dieser Frage sind wir am 20. Januar im Rahmen unseres Austauschformats «Hilfe zur Selbsthilfe» nachgegangen. Dafür haben drei Expert:innen auf diesem Gebiet ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit uns geteilt: Claudia Schlup ist Studienleiterin am MAZ und hat uns einen Überblick über die verschiedene Ausbildungsmodelle geboten. Wie die Ausbildung im Redaktionsalltag funktioniert, konnte uns WOZ-Redakteurin Silvia Süess berichten. Und Gina Bachmann, Co-Präsidentin des Vereins Junge Journalistinnen und Journalisten, berichtete, was sich Nachwuchsjournalist:innen wirklich wünschen.
Praktika systematisieren
Silvia Süess erzählte, wie sich die Praktika auf der WOZ in den letzten Jahren verändert haben: «Die WOZ hatte früher dreimonatige Praktika – was sich als zu kurz entpuppte. Ausserdem hatten wir kein systematisiertes Bewerbungsverfahren und bekamen über verschiedene Ecken Anfragen. Oft sagte man dann jenen Leuten zu, die man irgendwie kannte. 2015 wurden die Stages auf der WOZ deshalb systematisiert, unter anderem, weil wir Fairness schaffen wollten. Drei Stagiaires werden in einem formalisierten Bewerbungsprozess ausgewählt und arbeiten gleichzeitig während eines halben Jahres, in dem sie zusätzlich von internen Mitarbeitenden ausgebildet werden. Dabei arbeiten die Stagiaires in drei unterschiedlichen Ressorts: Inland, Ausland und Kultur. Die Stagiaires sind zu 80 Prozent angestellt und verdienen jeweils die Hälfte unseres Einheitslohns.»
Seit 2019 hätte die WOZ das Weiterbildungsprogramm sowie die Betreuung erweitert, sagte Süess weiter: «Ein erfahrener Kollege hatte dafür die Leitung übernommen und auch die meisten Kurse selber gegeben. Doch wir hatten gemerkt, dass es besser ist, wenn das Wissen nicht nur von einer Person vermittelt wird, sondern von möglichst vielen, was nun der Fall ist. Zudem war die Aufteilung auf einen Kurs im Monat ungünstig, weil so gewisse Kurse erst am Schluss des Praktikums an der Reihe waren. Der Recherchekurs zum Beispiel ist zu Beginn des Stages deutlich effektiver als gegen Ende.»
Der Betreuungsaufwand sei zwar individuell unterschiedlich, dürfe aber nicht unterschätzt werden, gab Süess zu bedenken. In der WOZ werden die Stagiaires nicht nur von redaktionellen Götts und Gottis betreut, sondern auch von Silvia Süess selbst. In regelmässigen Treffen besprechen sie das Arbeitsleben auch jenseits der Textproduktion. Viele der Stagiaires hätten sich zusätzlich einen Kurs gewünscht, der die Grundlagen der WOZ und der Zeitungsproduktion vorstellt. Doch alle Abläufe zu vermitteln, sei recht schwer, da kaum etwas schriftlich festgehalten sei. Nicht ganz einfach sei es auch, mit der Ambivalenz umzugehen, dass es im Journalismus nicht genügend Stellen für alle gäbe.
Doch nicht nur die Stagiaires lernen dazu, auch die Redaktionen können vom Austausch profitieren, meint Süess: «Von Seiten der WOZ her ist die Arbeit mit den Stagiaires allgemein sehr positiv. Sie bringen einen jüngeren Blick rein, haben einen Blick auf Themen, die wir nicht sehen, und sorgen oft für einen frischen Wind. Und viele unserer Stagiaires sind dem Journalismus und der WOZ erhalten geblieben, was uns sehr freut.»
Junge Journalist:innen brauchen Wertschätzung
Gina Bachmann ist bei der mittlerweile eingestellten Luzerner Lokalzeitung «Die Heimat» in den Journalismus eingestiegen und arbeitet heute als Redakteurin bei der NZZ am Sonntag und als Co-Präsidentin des Vereins Junge Journalistinnen und Journalisten. Sie sieht ihren Werdegang als repräsentativ für Jungjournalist:innen: «Etwa 80% der Journalist:innen haben im lokalen Bereich angefangen», sagt Bachmann.
Um potenzielle Nachwuchs-Journalist:innen zu finden, empfiehlt die Co-Präsidentin Infotage an den Journalismus-Ausbildungseinrichtungen, Schulbesuche und geschickt platzierte Inserate. «Ich will den journalistischen Nachwuchs trotz Medienkrise im Journalismus halten», erklärt Bachmann ihre Motivation. In diesem Sinne organisieren die Jungen Journalistinnen und Journalisten Schweiz im Herbst ein dreitägiges Medienfestival mit einer «Wandelhalle», wo Medien und Verbände Stände mieten könnten, um mit den jungen Menschen in Kontakt zu kommen.
Doch wie könnten die Medien die gewonnenen Jungjournalist:innen bei sich halten? Bachmann verweist auf mehrere wichtige Punkte: Erstens müssten die jungen Menschen wertgeschätzt werden. Es stimme nicht, dass die junge Generation weniger arbeite als die vorherigen. Stattdessen hätten sie eine unterschiedliche Arbeitsweise, die auch Akzeptanz verdiene. Zweitens sei ihnen eine gute Feedbackkultur sehr wichtig. Sorgfältiges Redigieren sei Gold wert beim Lernen und könnte beispielsweise an einem fixen Tag regelmässig durchgeführt werden. Drittens sei auch der Lohn im Praktikum oder Volontariat relevant. Idealerweise sollte man sich davon ein WG-Zimmer und einen einfachen Lebensstil leisten können. Und falls das nicht möglich sei, wären auch kreative Lösungen denkbar wie MAZ-Kurse während der Arbeitszeit oder bezahlte Weiterbildungen. Viertens, meint Bachmann, sollten die Jüngeren aktiv in die Redaktion eingebunden werden, um Einsamkeit im Arbeitsalltag zu vermeiden. Dabei könnten auch Co-Produktionen helfen. Und schliesslich sollte man dem Nachwuchs den Berufsstolz vermitteln und intern nach Anschlusslösungen suchen. «Bei der Vernetzung können auch der Verband Medien mit Zukunft und WePublish helfen», sagt Bachmann.
Durch enge Begleitung punkten
Als Studienleiterin am MAZ kennt Claudia Schlup die Ausbildung von jungen Journalist:innen aus einer anderen Perspektive. Sie beobachtet, dass jüngere Leute ihren Arbeitsplatz sehr bedacht aussuchen: «Jüngere Leute wollen nicht unbedingt in den Medien arbeiten, sondern bei einem Medium, das ihre Werte vertritt.»
Ähnlich wie Bachmann glaubt auch Schlup, dass für Nachwuchs-Journalist:innen Lernmöglichkeiten und Wertschätzung suchen: «Genaues und detailliertes Feedback kann enorm motivierend sein. Und durch enge Begleitung, zum Beispiel durch ein Gotte- / Götti-System, können gerade kleine Verlage punkten. Idealerweise ist die Vertrauensperson dabei allerdings nicht die oder der Vorgesetzte.» Für eine gute Lernumgebung könne auch ein gemeinsam erstellter Ausbildungsplan und eine gute Mischung aus eng strukturierten und freieren Aufträgen sinnvoll sein, fügt Schlup hinzu.
Wenig sinnvoll findet Schlup hingegen Verträge, die Auszubildende an einen Arbeitsplatz festhalten. «Wenn ein:e Praktikant:in gehen will, weil zum Beispiel ein Grossverlag winkt, geht er oder sie auch und kauft sich wenn nötig frei. Da ist es wenig sinnvoll, das Bleiben zu erzwingen», so Schlup. Doch was ist, wenn ein:e Praktikant:in beim Verlag bleiben will? Hier findet es die Studienleiterin wichtig, die Praktikant:innen schnell und klar darüber zu informieren, ob eine Stelle frei ist oder nicht. Und auch über den allgemeinen Zustand in der Medienbranche sollte man die junge Journalist:innnen aufklären. Dabei kann auch die redaktionelle Durchmischung helfen, die auch schon Bachmann gewünscht hat. «Praktikant:innen brauchen ältere Vorbilder, die institutionelles Wissen mit ihnen teilen und erklären, wohin sich die Branche entwickelt.» Doch auch die journalistische Leidenschaft können etablierte Kolleg:innen weitergeben: «Zuversicht und Begeisterung zu wecken, ist eine grosse Aufgabe», so Schlup.