Wer sich über die aktuelle Weltlage informieren wollte, musste vor 100 Jahren die Zeitung kaufen, vor 50 Jahren das Radio anstellen und vor 5 Jahren auf den richtigen Link klicken. Heute spart man sich sogar das Zucken des Zeigefingers und kriegt die Informationen von Google-Gemini oder Chat-GPT vorgegaukelt und ausgespuckt. Diese Entwicklung nennt sich «Zero Click Internet» und stellt Medien vor ein fundamentales Problem: Wie wird man von neuen Leser:innen gefunden, wenn diese nicht mehr auf die Beiträge klicken?
Darüber haben wir am vergangenen «Hilfe-zur-Selbsthilfe»-Event diskutiert. Organisiert wurde der Austausch zusammen mit We.Publish und mit Unterstützung der Volkart-Stiftung. Matthias Zehnder, Publizist und Verleger des Medienmagazins Edito, bot einen kritischen Überblick über die Lage. Er hatte die Problematik schon vor zwei Jahren in einem Youtube-Video thematisiert und damit – fast schon ironischerweise – mehr als 200’000 Klicks generiert.
Auch Moritz Friess, Mitinhaber der Kommunikationsagentur Feinheit, weiss, wie Medien KI zum Trotz an die benötigte Aufmerksamkeit gelangen. In seinem Vortrag verriet er unseren Teilnehmer:innen, wie starke Persönlichkeiten Kundenvertrauen und -bindung schaffen.
Traffic-Crash schon jetzt spürbar
«An sich gibt es KI-generierte Antworten von Suchmaschinen schon länger», erklärt Matthias Zehnder. Schon seit einigen Jahren gäbe Google selbst Auskunft über Informationen wie Daten, Wechselkurse oder Rechnungen. Neu sei, dass seit 2024 die meisten Google-Suchen auch zu einer KI-generierten Antwort führen. «Die KI schiebt sich als Zusatzschicht zwischen Benutzer:innen und Informations-Hersteller:innen.» Und viele geben sich mit dieser Zusatzschicht zufrieden: In der EU enden nur 374 von 1000 Google-Recherchen damit, dass die suchende Person auf eine Google-Seite klickt. Alle landeten bei anderen Google-Dienstleistungen oder blieben bei der KI-generierten Antwort von Gemini.
Aufmerksamkeit als Business-Modell funktioniert kaum noch.
Moritz Zehnder, Verleger Edito
«Die Auswirkungen davon können wir jetzt schon beobachten», sagt Zehnder. «Der Chefredakteur der Apotheken-Umschau beispielsweise, hat an einem Branchentreffen darüber gesprochen, wie der Traffic stark sinkt und sich aufwändige Berichte immer weniger rentieren.» Betroffen seien vor allem Long-Tail-Angebote wie Serviceartikel, Kulturagenda-Angebote und Beiträge über Themen wie Lifestyle, Wissen und Gesundheit. Dass KI-generierte Antworten zunehmend die Links verdrängen, führt laut Zehnder zu zwei grossen Problemen: Einerseits gehe so der Traffic für Medien verloren, andererseits seien KI-Antworten unzuverlässig.
Das Papageien-Problem
Denn obwohl die KI den Anschein erwecke, alles zu wissen und zu können, habe die KI kein wirkliches Verständnis von den Informationen, die sie verarbeitet und wiedergibt, meint Zehnder. Sie richte sich nur danach, welche Wortfolge wahrscheinlich und nicht welche Aussage richtig sei. «Ich nenne dies das Papageien-Problem», erklärt der Publizist, «Die KI plappert nach, ohne das eigene Geplapper zu verstehen.»
Wie diese Fehler entstehen und wie man sie verhindern könnte, sei schwierig bis unmöglich nachzuvollziehen. «Dass wir nicht wissen, wie die KI genau funktioniert, führt uns zu einem Verantwortungs-Problem», führt Zehnder fort, «Menschen können die KI nicht genau steuern, tragen aber die Verantwortung dafür.»
An den Medienhäusern liege es, sich der Realität zu stellen und neue Strategien zu finden: «Die Zeiten, in denen man mit Klicks auf Internet-Resultate Aufmerksamkeit und Geld generieren konnte, sind passé. Aufmerksamkeit als Business-Modell funktioniert kaum noch.»
Persönlichkeit vor Marke
Auch Friess ist überzeugt, dass Medien zu neuen Strategien greifen müsen. Um sichtbar zu bleiben, sollten Medien draufsetzen, was sie von der KI unterscheidet: Menschen und ihre Beziehungen zum Publikum. «In Zeiten von unzuverlässigen KI-Antworten schaffen Menschen Vertrauen», sagt Friess. «Darum werden auch die Medien besonders erfolgreich sein, die Persönlichkeiten und nicht eine Marke nach vorne stellen.»
Wie wichtig Persönlichkeiten seien, zeige sich am Erfolg von Influencer, von denen einige auch journalistische Inhalte produzieren. Deutschsprachige Creator hätten auch davon profitiert, dass sie über die sozialen Medien den ganzen DACH-Raum erreichen. So würden Dinge funktionieren, für die die Schweiz zu klein sei.
«Ich will damit nicht sagen, dass alle Medien mit Influencern zusammenarbeiten müssen», meint Friess. «Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen und von den Online-Creators zu lernen». Friess schlägt vor, dass Medienhäuser auf ihre eigene Mitarbeiter:innen setzen und diesen gegebenfalls zu Bekanntschaft verhelfen.
Medien können starke Persönlichkeiten mit journalistischen Standards verbinden .
Moritz Friess, Mitinhaber Feinheit
Drei konkrete Strategien für mehr Sichtbarkeit
Abschliessend gibt Friess den Medienunternehmenden drei handfeste Tipps auf den Weg: Erstens sollten sich Medienunternehmer:innen schon bei den Personalentscheidungen an den neuen Erwartungen der «Creator-Economy» orientieren und authentische Persönlichkeiten anstellen und fördern. Zweitens rät Friess, das Vertrauen der Leser:innen zu pflegen und journalistische Standards hochzuhalten. Dies nicht nur aus idealistischen, sondern auch aus strategischen Gründen: «Medienunternehmen können starke Persönlichkeiten mit journalistischen Standards verbinden und so etwas den selbständigen Creator voraus haben», so Friess. Und drittens empfiehlt Fries, den Auftritt des Mediums auf Beziehungspflege auszurichten: «Die Beziehung zu den Leser:innen kann man auf ganz viel unterschiedliche Weisen pflegen.» Ein gutes Beispiel sei der Newsletter von Tsüri, wo der Kopf und der Name der verfassenden Person ganz oben steht und die Leser:innen mit Vornamen angesprochen werden. Und natürlich könnten Live-Events die Redaktion und das Publikum miteinander vertrauen machen und den Kern der Community pflegen.
Angesichts dieser Möglichkeiten sind sich Moritz Friess und Matthias Zehnder einig: Das Ende des Internet-Traffics muss nicht das Ende der Medien bedeuten.