Keine Förderung für Texte – über den absurdesten Punkt des neuen Mediengesetzes

Zum Glück gibt es die Vernehmlassung! Wohl kein Punkt im neuen Mediengesetz ist so (berechtigterweise) umstritten wie die Entscheidung, im Netz nur Audio und visuelle Angebote fördern zu wollen. Eine Absurdität sondergleichen.

5+1 Gründe, warum die Trennung zwischen audiovisuellen Inhalten und Text keinerlei Sinn ergibt.

von Robin Schwarz

  1. Das Beispiel Zentralplus: Unabhängige Medien gibt es in der Region Luzern kaum mehr. Einer der raren relevanten Player in der Umgebung, der nicht in der Hand der grossen Verlage ist, heisst Zentralplus. Sämtliche grossen Medien wie die Luzerner Zeitung oder die Neue Luzerner Zeitung können dank ihrer Printausgaben weiterhin von der indirekten Presseförderung profitieren – und damit ihre aktiven Webangebote mitfinanzieren. Zentralplus – als eine der letzten unabhängigen Stimmen – geht komplett leer aus und steht damit unter stärkerem wirtschaftlichen Druck. Und das, obwohl der einzige Unterschied zu den anderen etablierten Medien ist, dass Zentralplus nur online erscheint. Diese Förderklausel im Gesetz unterstützt damit keinesfalls die Medienvielfalt. Es verhindert sie sogar.
  2. Suchmaschinen basieren auf semantischen Analysen. Das heisst, sie durchforsten das Netz primär nach Textinhalten. Zwar können Multimedia-Angebote mit Tags versehen werden, tatsächliche inhaltliche Zusammenhänge in Videos oder Podcasts werden dadurch aber nicht erfasst. Das weiss spätestens, wer einmal nach einem Zitat suchen musste, das irgendwo in einem von Hunderten von Videos versteckt ist. Obwohl Video im Netz sehr populär ist, basiert das ganze Netz immer noch auf Text. Die Trennung zwischen Audio, Video und Text läuft also konträr zur Funktionsweise des Internets und ist damit Unsinn.
    Für diejenigen, die ohne Vergleich mit Alltagsbezug nicht auskommen: Zweimal dieselbe Stelle lesen, ist einfach. Zweimal dieselbe Stelle hören, ist schwieriger.
  3. Es gibt nur einen Journalismus, nicht mehrere Journalismen. Auch wenn Begriffe wie «Printjournalismus», «Radiojournalismus» und «Onlinejournalismus» suggerieren, das sei nicht der Fall. Die journalistische Arbeit ist im Kern immer dieselbe: Relevante Geschichten auf qualitativ hohem Niveau erzählen. Wie das geschieht, welches Medium (im wahrsten Sinne des Wortes) die Geschichte übermittelt, ist am Ende egal. Gerade im digitalen Zeitalter ist es absurd, die Dynamiken, die sich aus dem Zusammenspiel zwischen Text, Bild, Ton und Animation ergeben, künstlich auseinanderzuhalten. Denn dieses Zusammenspiel ist die grosse Stärke des Digitalen. Und es hilft uns vielleicht, von der Vorstellung wegzukommen, «das Online» sei ein eigenes Medium, sondern die Kumulation – und Kulmination – aller anderen. Mit einer so fehlgeleiteten Idee von Journalismus, wie sie im Mediengesetz festgehalten ist, wird Qualität verhindert. Nicht gefördert.
  4. Qualitative Bild-, Video- und Podcast-Produktionen sind technologisch aufwendiger als Textangebote. Hinter höherem technologischem Aufwand steckt automatisch mehr finanzieller Aufwand in Form von Equipment. Damit ist die erste Hürde, guten Journalismus zu produzieren – und der ist unabhängig von seiner Form – um einiges höher. Gefördert wird also nur, wer von Grund auf mehr Geld in die Hand nehmen muss. Und das ist nicht die Idee von Vielfalt und Qualität. Die Hürde, Journalismus im Internet produzieren zu können, sollte so tief wie möglich sein. Das entscheidende Kriterium: Qualität. Nicht Geld.
  5. Jedes Angebot im Netz basiert auf Text. Denn keine Website, kein Podcast, kein Video kommt ohne dahinterliegenden Quellcode aus. Und Quellcode ist Text. Programmiersprachen normalen Sprachen zu bevorzugen, ist abstrus.
  6. Bonus: Ein bisschen Theorieverständnis, bitte. Unsere Welt lässt sich in Zeichen zerlegen. Wie das genau geschieht, ist Gegenstand der Semiotik, der Wissenschaft der Zeichensysteme. So besteht unsere geschriebene Sprache aus Zeichen. Sogar ein Wort kann als ein Zeichen verstanden werden – zum Beispiel in der Linguistik. Ein Wort ist ein symbolisches Zeichen und besteht wiederum aus Schriftzeichen. Genauso in Zeichen zerlegen lässt sich die gesprochene Sprache, zum Beispiel der Podcast, nämlich in einzelne Laute. Auch Bilder lassen sich im Hinblick auf die semiotische Klassifizierung Index, Symbol und Ikon in Zeichen zerbrechen. Warum also, in aller Welt, nehmen wir hier eine derartig beliebige Trennung vor? Folgen wir einfach der Tradition des grossen Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure, der zwar ungemein wichtig war, aber dennoch ohne klar durchdachten Grund das Sprechen dem Schreiben vorzog? Könnten wir mit diesem Mediengesetz einfach Text abfotografieren – und würden dann gefördert werden?
    Nicht, dass man Zeichen nicht Kategorien zuordnen könnte. Das ist hier nicht die Message. Sondern, dass eine Kategorisierung durchdacht vorgenommen werden muss. Nicht völlig beliebig.

Fazit:

Der einzige Grund, der «für» die Trennung spricht, ist das Berücksichtigen der Wünsche der grossen Verlage, die unter gefördertem Text im Netz mehr Konkurrenz und weniger Platz für ihre bereits etablierten (und ihrerseits indirekt geförderten!) Angebote sehen. In dieser Form und mit diesem Punkt ist das Mediengesetz nur eine Krücke für die Verlage und keine Stütze für qualitativen Journalismus. Natürlich: Der Schweizerische Kompromiss zählt immer. Das ist aber kein Kompromiss, sondern eine pure Ausrichtung an den ökonomischen Interessen Einzelner. Nicht an den Interessen eines guten Journalismus und eines starken Mediensystems. Und nur den zwei letzten Dingen soll das neue Mediengesetz dienen. Denn Journalismus ist eine Sache der Öffentlichkeit.